Endlich da: Lautstark verliebt + Erstes Kapitel

Nach einigen Anlaufschwierigkeiten ist Lautstark verliebt jetzt auf Amazon erschienen. Und ich hatte inzwischen sogar Zeit, die Printausgabe hochzuladen. Im BoD-Buchshop gibt es sie schon und in 1,2 Wochen hoffentlich überall. Sollte. Ich traue mich nicht mehr, irgendwelche Versprechungen zu machen. 😉

Und hier ist das erste Kapitel! Es geht diesmal eher gemächlich los. Dafür beginnt die zweite Geschichte, den anderen Protagonisten entsprechend laut und chaotisch. Ich kann nicht sagen, was ich lieber mag. 🙂

Kapitel 1

Ich habe keine Angst, dachte Korbinian. Natürlich war das eine Lüge.
Er stand seit mindestens drei Minuten vor dem Laden und starrte auf das abblätternde Schild. Das Schild blätterte nicht, weil es alt und ranzig war. Sondern weil es cool war. Der ganze Laden war cool.
Die handgemalten Lettern im Schaufenster (Bellas Gitarren & Reparatur), die das Geschäft wirken ließen, als würde es irgendwo in L.A. stehen. Das dunkle Innere, die abgenutzten Gitarren hinter der Glasscheibe, die unzähligen Bandplakate, mit denen die Tür vollgeklebt war …
Korbinian schluckte. In seinem Rücken tuckerte ein Auto vorbei. Die kleine Seitenstraße, in der der Laden sich versteckte, war schmal, kalt und roch nach Benzin. Dreckiger Schnee schmolz in den Ecken und vorhin wäre er auf dem glatten Kopfsteinpflaster fast ausgerutscht.
Korbinian schluckte erneut. Dieser Laden war so cool. Und er? Überhaupt nicht. Nie gewesen. Von seiner grünen Outdoorjacke über die billige, schlecht sitzende Jeans bis zu den orthopädischen Schuhen und dem Schlimmsten, seinem Namen … war er diesem Ort nicht gewachsen. Zum ersten Mal wünschte er sich, dass er selbst seine Klamotten aussuchen würde, und nicht seine Mutter. Schließlich war er schon neunzehn.
Er sollte wirklich … Er sollte eine ganze Menge. Das sagten sie ihm immer wieder. Mama, Papa und Mina. Aber er kriegte nichts davon hin.
Wenigstens das musst du schaffen, dachte er. Jetzt reiß dich mal zusammen. Du hast das Geld, und … und du weißt, was du willst. Bestimmt.
Er spürte Cherrys Gewicht in seiner Hand. Sie schlummerte in dem Gitarrenkoffer, den er heute erst zum zweiten Mal benutzte. Seit er sie vor vier Jahren gekauft hatte, hatte sie sein Zimmer nicht verlassen. Bis heute.
Cherry. Seine Harley Benton CST-24T Black Cherry Flame. Sein Ein und Alles. Für sie musste er verdammt noch mal den Arsch in der Hose haben, einen viel zu coolen Laden zu betreten.
Du kannst das, sagte er sich und atmete tief ein. Er strich eine lange Haarsträhne hinter sein Ohr und überprüfte, ob sein Haargummi noch da war. Dann machte er die paar Schritte bis zur Ladentür und drückte sie auf.
Zumindest versuchte er es. Sie bewegte sich kein Stück.
»Ziehen!« kam eine Stimme von innen und Korbinians Ohren wurden heiß. Verdammt.
Er öffnete die Tür, hörte das blecherne Scheppern einer Glocke und trat ein. Das Geschäft war klein und langgezogen wie ein Schlauch. Hinten lehnte ein gelangweiltes Mädchen in schwarzen Klamotten an der Ladentheke. Ihre Stimme hatte er gerade gehört.
Es roch nach altem Rauch und Leder, vermutlich, weil drei Typen in Lederjacken vor der Wand mit den Gitarren saßen und reihum eine davon ausprobierten. Sie sahen nicht einmal auf, als Korbinian vorbeischlich. Alle Drei waren mindestens vierzig, was ihn ein wenig beruhigte. Bei Jugendlichen hatte er immer Angst, dass sie ihm hässliche Dinge nachrufen würden. Ein Erfahrungswert.
Er gab sich Mühe, mit dem Gitarrenkoffer nichts umzuwerfen und schaffte es bis zur Kasse. Das Mädchen schaute nicht auf, selbst, als er direkt vor ihr stand. Sie blätterte durch einen dicken Katalog, der auf der mit verblassten Stickern übersäten Theke lag. Korbinian sah E-Gitarren auf den Seiten, an denen irgendetwas anders war … Ah, das mussten Linkshänder-Gitarren sein.
»Hallo«, krächzte er. Seine Kehle war staubtrocken. Seine Hände dafür so schweißfeucht, dass ihm der Koffergriff fast aus der Hand rutschte.
Das Mädchen sah auf. Mit einem Blick scannte sie seine peinliche Erscheinung.
»Hi.« Ihre Stimme war hell. Wohlklingend. Er räusperte sich.
»Ich möchte … Ich hab meine Gitarre dabei«, stotterte er.
»Und?« Sie zog die Augenbrauen zusammen. In jeder steckten mindestens fünf Piercings. So cool. »Was willst du damit? Verkaufen?«
»Nein!« Instinktiv zog Korbinian den Koffer vor seine Brust. »Ich will … Sie ist kaputt. Die Bundstäbchen, äh …«
»Also willst du sie reparieren lassen?« Sie klang leicht genervt.
»Ja«, murmelte er und nickte dazu, falls er mal wieder zu leise gesprochen hatte.
»Da runter«, schnarrte sie und deutete mit einem schwarz glänzenden Fingernagel neben sich. Oh. Ja, da ging eine winzige Wendeltreppe hinab. Das Geländer sah aus, als ob man sich pro Zentimeter hundert Splitter holen konnte.
»Danke«, sagte er leise. Sie antwortete nicht, da sie ihre Aufmerksamkeit längst wieder dem Katalog zugewandt hatte.
Vorsichtig tapste er die Stufen hinunter. Er stieß sich den Schädel an einem Balken und stolperte schließlich in eine Höhle, die roch wie ein Meerschweinchenkäfig. Die Wände bestanden aus unverputztem Mauerwerk, nur geschmückt von unzähligen Holzregalen, auf denen Gitarrenteile lagen. Rechts von ihm schraubte eine ältere Frau in einem Metallica-Shirt gerade an einer rotbraunen Fender Standard Strat herum. Musik dröhnte aus einem scheppernden Lautsprecher. Irgendein Sänger brüllte Worte, die Korbinian nicht verstand und … Er schrak zurück.
Ein schwarzgekleideter Junge, nein, Mann, drehte sich um und sah ihn an.
Und Korbinian wäre am liebsten weggelaufen. Dieser Kerl war cooler als alles andere in diesem gesamten Laden. Das wusste er, selbst, als der ihm noch den Rücken zugedreht hatte. Groß, blond, sportlich. Attraktiv. Schwarzes Langarmshirt, aus dessen Halsausschnitt ein Tattoo schaute. Schwarze Lederhose. Kalte, graue Augen hinter hellen Strähnen, die ihm verwegen in die Stirn fielen. Geschmeidige Bewegungen. Und ein Gesicht, so unfreundlich, als würde er Korbinian gleich die Hose runterziehen und ihn auf die Straße jagen. So, wie es Benjamin Meier damals in der siebten Klasse gemacht hatte.
Korbinians Handflächen waren klatschnass. Aber er blieb stehen, selbst, als der Typ sich komplett umgedreht hatte und ihn verächtlich musterte. Nur das Gewicht in seiner Hand ließ ihn stehenbleiben. Der Typ sah aus wie ein Löwe, in dessen Revier er unbefugt eingedrungen war.
»Ja?«, brummte der Blonde.
Er schien nicht viel älter als Korbinian zu sein. Aber einen ganzen, nein, nur einen halben Kopf größer. Schlimm genug. Korbinian ballte die Faust. Dann hielt er dem Blonden den Koffer hin.
»Die Bundstäbchen sind abgenutzt«, murmelte er und sah zu Boden. Alte Holzdielen, aber blitzblank geputzt. Er spürte, wie ihm das Gewicht abgenommen wurde.
»Lass mal sehen«, sagte der Blonde, ein wenig freundlicher. Erstaunlich sanft legte er den Koffer auf die nächstbeste freie Fläche und klappte ihn auf.
Cherry glänzte im Licht der Deckenlampe. Blutroter Körper, grauer Hals, etwas abgenutzt, aber immer noch wunderschön. Der Typ pfiff durch die Zähne.
»Gut gepflegt«, sagte er anerkennend und Korbinian entspannte sich ein wenig. Der Kerl nahm Cherry aus dem Koffer und betrachtete sie prüfend.
»Wie alt?«, fragte er.
»Vier Jahre«, sagte Korbinian, leise.
»Hm.« Der Blonde besah die Bundstäbchen, die von den Saiten tief eingekerbt worden waren. »Und da ist die schon so abgenutzt?«
Seine Stimme kam Korbinian bekannt vor, aber er wusste nicht, woher. Es war eine schöne Stimme. Warm und voll.
»Ich … ich spiel halt jeden Tag.«
Der Kerl musterte ihn, so ausführlich, wie er gerade noch Cherry betrachtet hatte. Korbinian versuchte, kraft seiner Gedanken im Boden zu versinken. Warum hatte er nichts Schwarzes angezogen? Nun, weil er nichts Schwarzes besaß. Seine Mutter meinte immer, er sollte fröhliche Farben tragen.
»Jeden Tag«, wiederholte der Kerl. Korbinian hatte das Gefühl, vor Gericht zu stehen. Einem Gericht, in dem ihm niemand glauben würde, egal, was er tat. Er nickte.
»Wie lange?«
»Ein … paar Stunden.«
Wann immer er konnte. Sobald er heimkam, sobald das Abendessen vorbei war. Und, seit er das Abi geschafft hatte, fast den ganzen Tag über, nur unterbrochen von der Arbeit im Lager und dem Steuerkram, den er für seine Eltern erledigte. Das war die Bedingung gewesen. Dafür, dass er ein Jahr Zeit bekam, um zu überlegen, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Bisher wusste er nicht viel, außer, dass er weiter Gitarre spielen wollte.
Zum Glück trat die alte Frau plötzlich neben den Blonden. Sie nahm ihm Cherry aus der Hand.
»Hm. Bundstäbchen? Macht achtzig Euro«, sagte sie. Ihre Stimme war so rau, als hätte sie statt Mandeln Schleifsteine. Korbinian zuckte zusammen und begann, in den Taschen seiner grünen Jacke zu wühlen. Wo war sein Weihnachtsgeld?
»Lass stecken«, brummte sie. »Du zahlst erst, wenn du sie abholst.«
»Oh.« Mist, seine Ohren wurden schon wieder heiß. »Ach so.«
»Charles.« Sie wandte sich an den Blonden, der Korbinian immer noch anschaute. »Das kannst du machen. Denke, du bist so weit.«
»Na endlich.« Der Typ nickte.
Was? Nein! Korbinian wollte nicht, dass der Kerl an Cherry herumdokterte, wenn der das offensichtlich noch nie getan hatte!
»K-kannst du das denn?«, fragte er. Eine Falte erschien zwischen den Augenbrauen des Blonden. Charles.
»Klar kann ich das.« Er wirkte verärgert. Oh nein. »Weißt du, wie lang ich schon lerne? Die Alte lässt mich alles hundertmal an irgendwelchem Schrott üben, bevor ich an die echten Dinger ran darf.«
»S-so habe ich das nicht gemeint«, stotterte Korbinian, obwohl er es genau so gemeint hatte. Panisch sah er zu der Alten, die Cherry einfach wegtrug. Er sah ihren blutroten Leib blitzen und hätte am liebsten geheult. »Ich meine, wenn du … äh. Ach, egal.«
Er ließ die Schultern sinken. Hoffentlich behandelten sie Cherry gut. Hoffentlich … Ein furchtbarer Gedanke kam ihm: Was, wenn sie sie klauten? Wenn er wiederkäme und sie sie ihm nicht wiedergeben würden? Behaupten würden, dass sie Cherry nie gesehen hätten, und … er zu schwach wäre, um sich zu wehren? Er würde sich das gar nicht trauen, schließlich stand ihm »Opfer« auf die Stirn geschrieben und … Korbinian schluckte die Tränen hinunter.
Reiß dich zusammen, dachte er. Du bist erwachsen.
Ein rosafarbener Zettel erschien vor seinem Gesicht. Etwas Unleserliches war darauf gekritzelt.
»Hier«, schnarrte die Alte. »In ’ner Woche ist sie fertig.«
Eine Woche?, wollte Korbinian rufen. Geht das nicht schneller?
Aber natürlich tat er das nicht, Opfer, das er war.
Damit schien alles geklärt zu sein. Die Alte drehte sich um und watschelte zurück zu ihrer Werkbank. Charles drückte Korbinian den leeren Koffer in die Hände und wandte sich wieder zu seinem Regal um.
Korbinian spürte kalten Schweiß in seinem Nacken. Cherry, dachte er. Sehnsuchtsvoll sah er zu der Wand, an der sie nun hing, zwischen einer blauen und einer mahagonifarbenen Gitarre. Sah auf Charles‘ muskulösen Rücken, das schwarze Langarmshirt, aus dessen Kragen ein Tattoo schaute, das er nicht identifizieren konnte. Etwas Beiges, Verästeltes. Ein … Geweih?
»Äh, also …«, begann er. Charles drehte sich um.
»War noch was?«, fragte er.
Korbinian atmete tief ein.
»Äh, ich …« Er straffte sich. »Pass auf sie auf, ja? Bitte.«
Er sah Charles an, vermutlich so flehend wie ein hungriger Welpe, aber das war ihm egal. Er brauchte keinen Stolz, er brauchte nur Cherry. Etwas Erstaunliches geschah in Charles‘ selbstbewusstem, absolut coolem Gesicht. Ein Lächeln erschien. Eins, das bestimmt jedes Mädchenherz zum Schmelzen gebracht hätte, so warm und freundlich und verständnisvoll, wie Korbinian es nie erwartet hätte.
»Mach ich«, sagte Charles. Seine Stimme war weich wie Karamell. »Versprochen.«
Korbinian nickte, sprachlos. Einen Moment lang konnte er nur starren, dann kroch ein Lächeln in sein Gesicht. Ein bestimmt saudummes Lächeln, aber das war egal.
»Danke«, flüsterte er. Und dann machte er, dass er aus dem Geschäft kam.
Erst, als er wieder auf dem Kopfsteinpflaster stand, merkte er, dass sein Puls raste und sein Atem stoßweise ging. Er hatte es geschafft. Er hatte diesen coolen Laden überlebt und war auf halbem Weg, Cherry heil zurückzubekommen.
Jetzt musste er nur noch eine Woche ohne sie überstehen.

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